Bundestag: Genozid an Jesid*innen anerkannt

Bundestag: Genozid an Jesid*innen anerkannt

Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan (4.v.l.) bei der Gesprächsrunde des Parlamentarischen Empfangs der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Anschluss an die Anerkennung des Völkermordes.

„Diese Entscheidung erleichtert uns unsere psychotherapeutische Arbeit“

Der Bundestag hat am 19. Januar 2023 einem gemeinsamen Antrag der Ampelfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion zugestimmt. Diese hatten in dem Papier gefordert, die Verbrechen des IS an den Jesid*innen als Völkermord anzuerkennen.

Anhörung im Ausschuss

Anhörung im Ausschuss

Auch Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, Leiter der Transkulturellen Psychosomatik der Klinik am Vogelsang, hat zu diesem Ergebnis maßgeblich beigetragen. Bereits im Juni vergangenen Jahres wurde er im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe als Sachverständiger gehört. Dort berichtete er aus seiner Arbeit mit traumatisierten Opfern, die nach den Gewalttaten der IS-Terrormiliz nach Deutschland geflohen waren. Viele von Ihnen fanden und finden in der Klinik am Vogelsang adäquate Hilfe in ihrer Sprache.

Professor Kizilhan erzählte im Ausschuss, dass er seit 2014 mit über 2000 jesidischen Frauen und Kindern gesprochen habe, die verschleppt, vergewaltigt und verkauft wurden. „Das Grauen ist unvorstellbar“, sagte Professor Kizilhan vor den Mitgliedern des Auss​chusses. Die Jesid*innen hätten ein „kollektives Trauma“ erlitten.

"Es geht um das Gefühl von Gerechtigkeit"

Für seine Patientinnen und Patienten sei die Annahme des Antrages durch den Bundestag ein wichtiges Zeichen. „Die Anerkennung des Genozids bedeutet auch für unsere Patienten und Patientinnen, die wir seit 2017 immer wieder behandeln, Anerkennung ihres erlebten Leids und der Traumata. Es gibt ihnen wieder Hoffnung“, erklärt Professor Kizilhan. „Das wiederum ist außerordentlich wichtig, um sich auf die Therapie einzulassen. Es geht um das Gefühl von Gerechtigkeit. Das hilft den Patient*innen, besser mit dem Trauma umzugehen und eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln, was wiederum unsere psychotherapeutische Arbeit erleichtert.“

Auch Außenministerin Baerbock​ bedankte sich

Auch Außenministerin Baerbock​ bedankte sich

​Verwaltungsleiterin Mona Kizilhan hatte ebenfalls die Gelegenheit, diese historische Sitzung im Bundestag mit einigen jesidischen Persönlichkeiten, Menschenrechts-Aktivist*innen und Überlebenden als Gast mitzuerleben. „Mit der Anerkennung ist ein sehr wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit gemacht worden und bestärkt uns auch auf unserem weiteren Weg in der transkulturellen Psychosomatik“, so Mona Kizilhan. ​​

Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien sowie Außenministerin Annalena Baerbock bedankten sich anschließend bei Professor Kizilhan für die geleistete und wichtige Arbeit.

​"Es ist zu erwarten, dass ein weiteres Sonderkontingent* auferlegt wird, um schwer traumatisierte Menschen nach Deutschland zu holen", sagt Professor Kizilhan. "Mit unserer Expertise und langjährigen Erfahrung ist die Abteilung Transkulturelle Psychosomatik bestens aufgestellt, um den Überleb​enden zu helfen."

Weitere Infos zur Transkulturellen Psychosomatik:

Die Klinik am Vogelsang hat sich auf die psychosomatische Therapie für Menschen mit Migrationshintergrund spezialisiert. Behandelt werden können alle Störungen aus dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Dabei werden kulturelle, sprachliche und religiöse Unterschiede berücksichtigt. Ärzt*innen und Therapeut*innen sprechen nicht nur deutsch, sondern auch die Muttersprache der türkischen, kurdischen und arabischen Patient*innen. Die Personen, die in der Klinik behandelt werden, kommen daher aus ganz Deutschland. 

* Professor Kizilhan leitete 2014 das Sonderkontingent der Landesregierung Baden-Württemberg für schutzbedürftige Frauen und Kinder, die in den Händen des Islamischen Staats“ (IS) waren. In diesem Sonderprogramm bekamen rund 1.100 Frauen und Kinder bei uns eine Chance auf ein neues Leben. Unter diesen Frauen war auch Nadia Murad, die 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde und sich weltweit für Menschenrechte einsetzt.